Ähnlich wie eine Ansicht innerhalb der Mühlenstraße zeichnete Feininger auch in der Mauerstraße 1905 und 1921 von demselben Standort aus die zur Stadtgrenze hin kleiner werdenden, eng an eng aufgereihten Wohnhäusern. Beide Abbildungen sind in der „Galerie im Kloster“ vergleichend nebeneinandergestellt. Stark detailgebunden und mit weißer Farbe gehöht, gibt die Zeichnung von 1905 ein sehr lebendiges Abbild mit gerade geöffnetem Fenster und sich scheinbar bewegendem Holzflügel wieder. 1921 dagegen zeichnete Feininger große Formzusammenhänge mit klaren, starken Linien. Details wie Dachgauben, Fensterflügel und Türöffnungen ordnen sich in Andeutungen, die großen Formen verstärkend, unter.
Lyonel Feininger verließ Deutschland im Juni 1937, nachdem er von den Nationalsozialisten als
„entarteter Künstler“ diffamiert worden war und dadurch seiner Kunst nicht mehr nachgehen
konnte. Kurz zuvor äußerte er sich gegenüber seinem jüngsten Sohn: „Ich fühle mich 25 Jahre jünger, seit ich weiß, daß ich in ein Land gehe, wo Phantasie in der Kunst und Abstraktion nicht als absolutes Verbrechen gelten wie hier.“ Feininger kehrte in sein Geburtsland, die USA, zurück und sollte Deutschland niemals wiedersehen. Er blieb allerdings Europa und vor allem den vielen kleinen Städten und Landschaften Deutschlands bis zu seinem Tod im Jahr 1956 sehnsuchtsvoll verbunden.